Interview mit Severin Lüthi – Sieger 30. TTM Thun Open 2005
Anlass des Interviews ist das 10-jährige Jubiläum deines Turniersieges, man sagt Tennisspielern ja ein Elefantengedächtnis nach, weisst du noch gegen wen du im Finale gespielt hast? _(überlegt)… Als jung konnt ich mir alles merken… Fischer?
Das war im Halbfinale. Dillschneider.
_Im Ernst? Aber die Flasche Wein mit der Etikette “Thunermeister 2005” hab ich gerade diese Woche in den Händen gehalten. Ob die noch trinkbar ist?
Auf der anderen Seite sollten Tennisspieler ja auch gut verdrängen/vergessen können, was ist deiner Meinung nach wichtiger?
_Beides. Als Spieler ist es einfacher sich Sachen zu merken, als Coach muss ich alles aufschreiben. Roger (Federer) z.bsp. weiss unglaublich viel, was er wann wie gespielt hat. Die ganz Guten müssen ihre Stärken behalten und die Schwächen ausmerzen. Stan musste lernen immer noch hart zu sich zu bleiben – was er nun viel besser kann – ohne nach Niederlagen drei vier Tage zu Tode betrübt zu sein, weil man als Tennisspieler 20 Niederlagen im Jahr hat, rechne das hoch wie viele schlecht gelaunte Tage du so im Jahr erlebst… Aber eine Niederlage muss immer noch weh tun. Tsonga ist für mich eher ein Instinktspieler, der versucht den Gegner zu überfahren.
Hat das auch mit dem Spielstil zu tun?
_Natürlich, aber es stellt sich auch die Frage was zuerst war. Ohne Waffen muss ich mehr überlegen wie ich gegen einen bestimmten Gegner spielen muss. Roger hatte Phasen, wo er sein Spiel fast zu fest dem Gegner anpasste und wir wieder sagen mussten, dass seine Gegner sich ihm anpassen sollten!
Du hast so viele Turniere erlebt, hast du einen Tipp für die Thun Open? Was wird von Spielern und Trainern besonders geschätzt?
_Ich hab das Turnier als sehr familiär in Erinnerung, die Lage ist wunderschön und es arbeiten Leute mit Herzblut fürs Turnier.
Hängt es auch auf der Tour von einzelnen Leuten ab?
_Es ist nicht so familiär, aber ja. Der Turnierdirektor der Australian Open war früher Coach von Georges Bastl und hat mich und Bastl im Interclub-Doppel gecoacht. Zu ihm hab ich natürlich nach wie vor ein super Verhältnis. Ich würde sagen, die Thun Open holen das Maximum heraus und ich würde auch nicht mit noch mehr Geld locken. Was mir noch wichtig erscheint, ist eine gute Küche!
Die wird neu sein diese Saison, wir sind gespannt! Wie ist es von den Emotionen und der Nervosität her, als Coach im Vergleich zum Spieler?
_Als Spieler ist beides intensiver. Man verspührt die Nervosität vor dem Match, auch schon am Vortag. Nur zwischendurch in wichtigen Phasen kann ich als Coach nervöser werden, weil man als Spieler so fokussiert darauf ist, Punkt zu Punkt zu spielen, dass man die heissen Phasen weniger mitkriegt. Der Davis Cup ist da aber speziell: Da bin ich noch mehr im Match drin.
Ist es schwierig während 5 Sätzen in jeder Pause etwas zu sagen, positiv zu bleiben, zu pushen, kann sich das nicht auch abnützen?
_Am Anfang hat man das Gefühl etwas sagen zu müssen wegen den Kameras, inzwischen ist mir das egal. Zudem ist ein Spieler sich gewohnt 95% all seiner Matches ohne jemanden auf der Bank zu spielen, daher will er auch mal durchschnaufen und nicht endloses Gequatsche hören. Es gibt Momente in denen man pushen und solche in denen man beruhigen muss.
Hilft es wenn man den Spieler gut kennt?
_Absolut, das Wichtigste ist einen Draht zu ihm zu haben. Stan habe ich gegen Djokovic extrem gepusht, bis er meinte, ob ich nicht einfach mal ruhig sein könne. Aber zwischendurch muss man auch die Konfrontation suchen.
Wenn wir schon beim Davis Cup sind, du hast ein Team mit 3 Spielern die die Ruückhand einhändig spielen zum Sieg gecoacht. Empfiehlst du eine einhändige oder zweihändige Rückhand?
_Zweihändig! Ich finde es zwar unglaublich wie Stan oder Roger ihre Backhand spielen, aber ich sehe nicht viele Vorteile. Es kommt aber schon auf den Spielertyp an. Viele Kids beginnen zweihändig und die Umstellung erfolgt oft, weil sie es cool finden, respektive einem Idol nacheifern.
Zurzeit steigen viele Ex-Profis ins Trainergeschäft ein, während Medien über Federer oft schreiben, er hätte mit dir keinen guten Ex-Spieler an seiner Seite. Mehr als ob du als ehemaliger N1 und ATP 600 Spieler darüber pikiert bist, interessiert mich, wie gross du den Unterschied zwischen ATP 600 und der Nr. 1 der Welt siehst? Bringt ein solcher Spieler nicht bereits genügend Verständnis mit um auf Toplevel zu coachen?
_Absolut und man kann sich auch viel aneignen, aber du kannst dem Spieler nicht erzählen, wie es ist, rauszulaufen und ein Grand Slam zu gewinnen und es gibt Spieler die genau das hören wollen, weil es ihnen Selbstvertrauen gibt. Sinnvoller ist es aber wohl, selber zu überlegen, wer Gutes erzählt und nicht nach dem Palmares zu urteilen.
Zumal sich das Tennis auch stark entwickelt hat in den letzten Jahren.
_Das ist ein wichtiger Punkt. Das Serve & Volley von vor 25 Jahren ist so heute nicht mehr praktikabel, weil du jeden Backhand Return um die Ohren geschossen bekommst.
Ist der Unterschied zwischen der ATP 600 und ATP 1 grösser als der zwischen R3 und R5?
_Der Unterschied zwischen der 1 und einem Spieler um 600 ist viel grösser. Ich glaube bei R3/R5 ist der Unterschied nicht gross, ähnlich wie bei Spielern zwischen 200 und 500. Die Spieler dort haben alle ein gutes Level und wenn, dann trennen sie nur Nuancen.
Wärst du heute mit dem jetzigen Wissen, das du dir als Coach angeeignet hast, der bessere Spieler?
_Hmm… das Problem ist, man sollte auch nicht zuviel überlegen. In jungen Jahren spielt man oft instinktiv. Zudem muss man ein sehr guter Spieler sein, um mit all dem Wissen umgehen zu können.
Mit Stan und Roger kann man z.bsp. auch nicht dasselbe machen. Stan hat nicht 5 verschiedene Spielstile. Roger hat da mehr Möglichkeiten, dabei besteht aber die Gefahr sich zu verlieren.
Ich würde mein Spiel wohl anders entwickeln auf die Karriere gesehen, weil ich weiss wo es sonst anstellen wird. Heute muss man beispielsweise auch von weit hinter der Grundlinie returnieren können.
Frustriert es dich manchmal, wenn du spürst, dass du nicht mehr so gut spielst wie früher?
_Nicht wirklich, nur die mangelnde Fitness nervt. Wenn ich Matches spielen würde, wäre das vielleicht etwas anderes. Aber heute gehe ich lieber mit Kollegen Fussball spielen. Das Turnier spielen ist für mich weit weg.
Trotzdem die Abschlussfrage: wann spielst du das nächste Mal bei uns die Thun Open?
_(Überlegt sehr lange) Ich seh mich nicht, alleine an ein Turnier zu gehen. Wenn, dann würd ich wohl eher IC spielen. Wobei dann bräuchte ich vielleicht auch ein Turnier oder zwei… Ok, ich leg mich fest und sage in 10 Jahren, aber nur wenn ich in der 1. Runde gegen Micha Furrer (sitzt daneben und ihm graut, wie mir scheint) antreten kann.
Das Interview mit Severin Lüthi hat Janusch Graf – Thun Open Sieger 2008 – geführt.